β€žRotes Kurdistanβ€œ: Aserbaidschanische Kurden im Interesse der Sowjetrepublik

Auf dem Territorium von Kaukasien lebten Kurden schon seit Jahrhunderten. Noch wΓ€hrend der Sowjetzeit waren deren Siedlungsgebiete insbesondere die Sowjetrepubliken Aserbaidschan und Armenien. In Aserbaidschan besiedelten sie insbesondere die Regionen Nachitschewan und Karabach. In der Region Karabach lebten sie vermehrt in den aserbaidschanischen Provinzen KΓ€lbΓ€dschΓ€r, Latschin, Gubadli und ZΓ€ngilan. Da diese Gebiete zusammen mit der armenischen Provinz Sjunik einst Sangesur (auch SΓ€ngΓ€sur) bildeten, waren bis Ausbruch des ersten Bergkarabachkrieges zwischen Armenien und Aserbaidschan (1988-1994) auch kurdische Siedlungen in Armenien bzw. in der Stadt Kapan zu finden. Die armenische Region Sjunik bildete demzufolge mit den aserbaidschanischen Provinzen Latschin, Gubadli und ZΓ€ngilan den Distrikt (Ujezd[1]) Sangesur, der im Jahr 1921 durch das Kaukasische BΓΌro (KavbΓΌro) mit Teilnahme von Josef Stalin auf zwei Gebiete aufgeteilt wurde, wobei der ΓΆstliche Teil innerhalb Aserbaidschans beibehalten und der westliche Teil Armenien zugesprochen wurde.[2]

Am 16. Juli 1923 beschloss das Transkaukasische Zentrale Exekutivkomitee die Bildung eines kurdischen autonomen Gebiets in der Aserbaidschanischen Sozialistischen Sowjetrepublik (SSR).[3] [4] So entstand in der Geschichte des kurdischen Volkes die erste Verwaltungseinheit – eine autonome kurdische Provinz, die in die historische Literatur als β€žRotes Kurdistanβ€œ (Krasnij Kurdistan) oder als  Kurdischer Ujezd (Kurdistanskij Ujezd) einging.[5]

BevΓΆlkerung und Siedlungsgebiete: Die Kurden in Transkaukasien am Ende des 19. Jahrhunderts

Ein Überblick ΓΌber die kurdische BevΓΆlkerungszahl in Transkaukasien kann erst nach der russischen Eroberung der entsprechenden Gebiete erhalten werden, obwohl die Bildung der kurdischen Minderheit innerhalb des heutigen Aserbaidschans bereits wΓ€hrend des Safawidenreiches im 17. und 18. Jahrhundert begonnen hatte. Die Kurden besiedelten in Transkaukasien wΓ€hrend des Zarenreiches insbesondere die Gouvernements Eriwan, Elisavetpol, Tiflis, Kutaissi und die Oblast Kars. Ein wichtiger Ujezd innerhalb des Gouvernements Elisavetpol war Sangesur, wo im 20. Jh.  nach der Aufteilung das β€žRote Kurdistanβ€œ auf dem Territorium des sowjetischen Aserbaidschans  gegrΓΌndet wurde. Laut der zarischen VolkzΓ€hlung von 1886 lebten in den genannten Gebieten insgesamt 100.043 Kurden.[6]

Tabelle 1: Die kurdische BevΓΆlkerung im Gouvernement Eriwan am Ende des 19. Jahrhunderts

Gouvernement Eriwan

Die Anzahl der kurdischen BevΓΆlkerung

Ujezd Eriwan

8.129

Ujezd Alexandropol

3.739

Ujezd Nachitschevan

473

Ujezd Novobajazit

2.443

Ujezd Surmalinsk

14.619

Ujezd Ε aruro-Daralagezskij

880

Ujezd Ėčmiadzin

6.195

Gesamtzahl der Kurden im Gouvernement Eriwan

36.478

Quelle: Svod statističeskich dannych o naselenii Zakavkazskogo kraja, izvlečennych iz posemejnych spiskov 1886 g. S. 212.

Fast genauso viele Kurden lebten auch im Gouvernement Elisavetpol. Die folgende Tabelle 2 verdeutlicht die kurdische BevΓΆlkerungszahl nach Ujezden.

Tabelle 2: Die kurdische BevΓΆlkerung des Gouvernements Elisavetpol am Ende des 19. Jahrhunderts

Gouvernement Elizavetpol’

Die Anzahl der kurdischen BevΓΆlkerung

Ujezd AreΕ‘

359

Ujezd DΕΎebrail

1.452

Ujezd DΕΎevanΕ‘ir

5.527

Ujezd Sangesur

26.824

Gesamtzahl der Kurden im Gouvernement Elisavetpol

34.162

Quelle: Svod statističeskich dannych o naselenii Zakavkazskogo kraja, izvlečennych iz posemejnych spiskov 1886 g. S. 278.

Die am Ende des 19. Jahrhunderts in Transkaukasien lebenden Kurden machten etwa 2,13 Prozent der regionalen GesamtbevΓΆlkerung aus. Davon lebten 36.478 Kurden, wie bereits in der Tabelle 1 dargestellt wurde, im Gouvernement Eriwan und 34.162 Kurden im Gouvernement Elisavetpol (vgl. Tabelle 2). In der Oblast Kars lebten hingegen nur 26.434 Kurden. In den Gouvernements Tiflis und Kutaissi lebten zusammen insgesamt 2.969 Kurden.[7]

Die grâßte kurdische Siedlung befand sich im Ujezd Sangesur, wie aus den Daten der ausgewerteten Statistik (vgl. Tabelle 2) ersichtlich ist. Es gab dort auch Aserbaidschaner und Armenier, aber der Anteil der Kurden an der BevΓΆlkerung von Sangesur betrug in der Region Transkaukasien 21,5 Prozent. Die aserbaidschanischen Kurden gehΓΆren in der Regel dem schiitischen Zweig des Islams an.[8]

Die Kurdenfrage nach dem Ersten Weltkrieg

Nach dem Zusammenbruch des Russischen Reiches und der UnabhΓ€ngigkeit der Staaten des SΓΌdkaukasus wurde die politische Situation in der Region sehr instabil. Die neu gegrΓΌndeten Republiken Armenien, Aserbaidschan und Georgien begannen, ihre Territorien aufzuteilen und starteten alsbald militΓ€rische Operationen gegeneinander.[9] [10]

Zwischen 1918 und 1920 existierte die Aserbaidschanische Volksrepublik, die im April 1920 durch Rotarmisten annektiert wurde. Bis zur Annexion waren die Ujezden Sangesur, Nachitschewan und die gesamte Region Karabach Teil der aserbaidschanischen Republik[11], wobei zwischen Armenien und Aserbaidschan in dieser Region vermehrt Gefechte stattfanden, sodass auf beiden Seiten jeweils Territorien unter die Kontrolle des Gegners gebracht wurden.[12]

Die drei umstrittenen Regionen des Südkaukasus Armenien, Aserbaidschan und Georgien wurden von Kurden bewohnt. Bewaffnete Angriffe hatten große Auswirkungen auf die Zusammensetzung der kurdischen Bevâlkerung in diesen Gebieten: Einige Kurden wurden getâtet, der Rest floh und suchte Zuflucht in Nachitschewan. Zu der Zeit, als sich die sowjetische Herrschaft in den drei Staaten des Südkaukasus etablierte, lebten die meisten Kurden in Aserbaidschan.

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wurde, wie bei vielen anderen Vâlkern auch, die kurdische Nationalbewegung beschleunigt.[13] Die britische Regierung versuchte von Anfang an, die kurdischen AufstÀnde in den Griff zu bekommen, um die Kontrolle über die Gebiete des historischen Kurdistans zu erlangen. Die britische MilitÀrführung unterstützte demnach die nationalistische Bewegung, aber die Türkei stÀrkte ihre Position, sodass der Einfluss Englands rapide schwand. Es ist anzumerken, dass die Idee des unabhÀngigen kurdischen Staates von der kurdischen Elite unterstützt wurde, wÀhrend das einfache Volk ums Überleben kÀmpfte und als Folge der stÀndigen Konflikte die Massenauswanderung begann.[14]

Andererseits versuchten auch die Bolschewiki in den neuannektierten Gebieten ihre Macht auszuweiten. Aserbaidschan wurde am 28. April 1920 frΓΌher angegliedert, wΓ€hrend Armenien wenig spΓ€ter im November 1920 folgte. Die Sowjets versprachen den Armeniern zunΓ€chst viele Gebiete im Westen Aserbaidschans, um deren Sympathie zu gewinnen.[15] Des Weiteren begann die Sowjetunion mit der Bildung eines neuen adminstrativen Systems, bei dem ebenfalls religiΓΆse und nationale Faktoren eine Rolle spielten. Am 12. Januar 1921 wurde wΓ€hrend der Tagung des Zentralkomitees der kommunistischen Partei Aserbaidschans proklamiert, den Ujezd Sangesur auf westliche und ΓΆstliche Gebiete nach nationalem Prinzip aufzuteilen[16], indem der westliche Teil (3.637 kmΒ²) in die armenische Sowjetrepublik eingegliedert und der ΓΆstliche Teil (3.105 kmΒ²) wegen der aserbaidschanisch-kurdischen BevΓΆlkerung innerhalb des sowjetischen Aserbaidschans beibehalten wurde. Seit diesem Zeitpunkt wurde der aserbaidschanische Teil des ehemaligen Ujezds Sangesur als β€žKurdistanβ€œ bezeichnet.[17] Diese AnkΓΌndigung wurde dann am 16. Juli 1923 bestΓ€tigt. Es wird heute in akademischen Kreisen noch oftmals diskutiert, dass die Entstehung der kurdischen Autonomie nur dank Lenins Deklaration der Rechte der russischen VΓΆlker vom 15. November 1917 mΓΆglich war. In einem Punkt rΓ€umte Lenin sogar das Recht der VΓΆlker Russlands auf freie Selbstbestimmung bis hin zur Sezession und Bildung unabhΓ€ngiger Staaten ein.[18]

Die Kurden wΓ€hrend und nach der ersten Aserbaidschanischen Republik

In der Zeit von 1918 bis 1920, als die Republik Aserbaidschan existierte, war Chosrow bej Sultanow ein prominenter Vertreter der kurdischen NationalitΓ€t, der MilitΓ€rminister (Mai bis Juni 1918), Landwirtschaftsminister (Juni bis Juli 1918) sowie seit dem 15. Januar 1919 Generalgouverneur von Karabach und Sangesur war. Es gab sowohl kurdische Vertreter unter den muslimischen Abgeordneten im aserbaidschanischen Parlament als auch kurdische bewaffnete Einheiten.[19] [20]

1918 wurde der Friedensvertrag von Brest-Litowsk zwischen der Russischen Sozialistischen FΓΆderativen Sowjetrepublik (RSFSR) und der Vierten Union geschlossen, wonach Sowjetrussland seine Truppen aus Batumi, Kars und Ardahan abzog – dort lebten Kurden dicht besiedelt. Im Jahr 1920 wurde der Vertrag von SΓ¨vres (Artikel 62, 63, 64) verabschiedet, der die GrΓΌndung eines unabhΓ€ngigen Kurdistans unter Beteiligung der TΓΌrkei, Frankreichs und Englands vorsah.[21] Nach drei Jahren lΓΆste der Vertrag von Lausanne den Vertrag von Sevres auf: Das historische Kurdistan wurde daraufhin zwischen dem Iran, dem Irak, der TΓΌrkei und Syrien aufgeteilt, wobei Frankreich ein Mandat ΓΌber Syrien und England eines ΓΌber den Irak erhielt.[22] Die VertrΓ€ge, die dem kurdischen Volk zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen unabhΓ€ngigen Staat versprachen, hatten allerdings nur in der Theorie wirklich Bestand.

Sowjetisierung und β€žRotes Kurdistanβ€œ

Das Dekret, welches die Errichtung der kurdischen Autonomie auf dem Territorium von Aserbaidschan vorsah, hatte die Grenzen dieser EntitÀt nicht festgelegt. Eigentlich bestand das Rote Kurdistan aus 228 Siedlungen, die Teile der Regionen Sangesur, das ehemalige Schuscha, Dschabrail sowie Dschawanschir umfassten. Ursprünglich war das Zentrum der Region die Stadt Schuscha, dennoch wurde es 1924 zunÀchst nach Minkend, dann nach Abdallar und schließlich nach Latschin verlegt.[23]

Die Bauern widmeten sich der Viehzucht, aber es gab keinen VeterinΓ€rdienst im Bezirk, sodass das Vieh krank und schwach war und kein Einkommen brachte.[24] Zur gleichen Zeit brachen die stΓ€ndigen interethnischen Konflikte wegen der Grenzstreitigkeiten mit Karabach aus. 1924 beschloss das PrΓ€sidium des Zentralkomitees der AKP (b), das Politische BΓΌro Kurdistan vom Politischen BΓΌro der Region Bergkarabach zu trennen und die Grenzstreitigkeit zwischen diesen Gebieten zu lΓΆsen.[25]

Die GesamtflΓ€che der Region Kurdistan betrug 3.432 kmΒ².[26] Der erste Vorsitzende der sowjetischen kurdischen Regierung wurde Husu Hajiyev. Der bekannte Schriftsteller Taghi Schachbazi, der als SekretΓ€r des Zentralen Exekutivkomitees Aserbaidschans arbeitete, wΓ€hlte das Dorf Abdallar als Hauptstadt der neuen Region. Bei der Auswahl eines neuen Standorts fΓΌr das Zentrum mochte Taghi Schachbazi den ursprΓΌnglichen Namen β€žAbdallarβ€œ allerdings nicht und gab der Stadt den Namen β€žLatschinβ€œ, die fortan als Zentrum fungierte.[27] Die Verwaltung Kurdistans befand sich innerhalb des sowjetischen Aserbaidschans zwischen dem sowjetischen Armenien im Westen und der autonomen Oblast Bergkarabach im Osten.

Laut der AllunionsvolkszΓ€hlung von 1926 zΓ€hlte die BevΓΆlkerung des Roten Kurdistans insgesamt 51.200 Menschen, davon waren 37.470 (73,1 Prozent) Kurden, 13.520 (26,3 Prozent) Aserbaidschaner und 256 Armenier (0,5 Prozent).[28]

Im Jahr 1925 wurde der LΓΆsung der territorialen Frage des Landkreises dann schließlich große Aufmerksamkeit gewidmet. Mir DschΓ€fΓ€r Bagirov, Volkskommissar fΓΌr innere Angelegenheiten, wurde nach Kurdistan entsandt, um den Stand der Dinge im Distrikt zu untersuchen. Bagirov beschrieb die Situation in dem Bezirk als schrecklich. Er stellte fest, dass die hohe Arbeitslosigkeit und das angespannte VerhΓ€ltnis zwischen Armeniern und Kurden sowie der Einfluss der Sowjetregierung den Bezirk selbst stark diskreditierten.[29] Bagirov fΓΌhrte zahlreiche praktische Initiativen zur Verbesserung der Situation ein – er schlug beispielsweise vor, Kredite zu vergeben, Autobahnen und ein SΓ€gewerk zu bauen, Milchviehbetriebe zu etablieren, Betriebe zur Herstellung von Butter und KΓ€sereien zu errichten, die tierΓ€rztliche Versorgung zu stΓ€rken, vorhandene Mineralien sinnvoll zu nutzen und abzubauen, das Wasserkraftpotenzial der Region zu untersuchen sowie medizinische Sanatorien auf der Grundlage der hiesigen Mineralquellen zu schaffen.[30]

Nach der Ermittlung der Arbeitskomission verabschiedete das Zentralkomitee der AKP (b) eine Reihe von Resolutionen – es stΓ€rkte die staatliche und parteipolitische Arbeit in der Region, erhΓΆhte die Mittel fΓΌr den Bildungssektor und stimulierte die regionalen wirtschaftlichen MΓΆglichkeiten.[31] Anschließend beteiligte sich der Sowjetstaat aktiv an der Bestimmung des Status der kurdischen BevΓΆlkerung in der TΓΌrkei und im Iran. Die Sowjetische Regierung widmete der Etablierung rechtlicher Normen und der Organisation des Bildungssystems unter den Kurden fortan große Aufmerksamkeit. Die aserbaidschanischen Kurden waren zum Teil Nomaden und praktizierten immer noch das Volkgericht. In Kurdistan wurden bald Schulen, Theater sowie KrankhΓ€user gebaut und ebenfalls ein kurdisches Alphabet entwickelt, sodass der Unterricht in den Schulen auf Kurdisch stattfinden konnte.[32]

In den spΓ€ten 1920er- bzw. frΓΌhen 1930er-Jahren verΓ€nderte sich dann die Anzahl an Kurden in Aserbaidschan aufgrund der Einwanderer aus der TΓΌrkei und dem Iran: In diesen LΓ€ndern fanden regierungsfeindliche Demonstrationen seitens der Kurden statt. Infolge der AufstΓ€nde und innerlΓ€ndischen Probleme kehrten viele kurdische StΓ€mme in das sowjetische Aserbaidschan zurΓΌck.[33] Der Sowjetstaat unterstΓΌtzte die Auswanderung massiv und versprach den Kurden politische Freiheit, Land, Werkzeuge und Zugtiere. Die Kurden wurden vorΓΌbergehend in Nachitschewan untergebracht, bevor dann im FrΓΌhjahr 1927 400 Personen in den Bezirk Nucha[34] umgesiedelt wurden. Am 5. November 1927 wurde beschlossen, die Kurden aus der TΓΌrkei, die noch in Nachitschewan warteten, in dem gleichnamigen Kreis unterzubringen. 1928 wurden einige Kurden in aserbaidschanische Regionen Aghdam und Jewlach umgesiedelt. Am 16. Januar 1929 wurde noch ein Dekret ΓΌber die Umsiedlung von 334 Familien aus dem Bezirk Aghdam nach Nucha erlassen.[35] Einige der Kurden weigerten sich jedoch, umzuziehen, da sie sich bereits in Jewlach niedergelassen hatten. Andere beschlossen wiederum, in den bergigen Teil der Sharur-Region zu ziehen; der Rest ging nach Nachitschewan.

Die Sowjetregierung schien ihre Versprechen zunΓ€chst zu halten. DarΓΌber hinaus fΓΌhrte sie allerdings eine gewaltsame Kollektivierung und Entkulakisierung durch, was zu Unruhen und einer steigenden Unzufriedenheit unter den Kurden fΓΌhrte. Die Kurden forderten vermehrt die MΓΆglichkeit ein, in die TΓΌrkei zurΓΌckzukehren, sodass der Rat der Volkskommissare der Aserbaidschanischen SSR beschloss, sie tief in die Autonome Sozialistische Sowjetrepublik (ASSR) Nachitschewan umzusiedeln. Die Kurden waren sich jedoch nicht einig, ob sie nun auf dem aserbaidschanischen Territorium bleiben oder es verlassen sollten. Es begannen AufstΓ€nde – zuerst in der TΓΌrkei, dann in Aserbaidschan und Armenien.[36] Infolgedessen stimmte die tΓΌrkische Regierung Mitte der 1930er-Jahre der Forderung kurdischer ÜberlΓ€ufer zu und so begannen sie Schritt fΓΌr Schritt, in die TΓΌrkei zurΓΌckzukehren.

Die kurdische Autonomie existierte lediglich bis 1929. Nach Erlass vom 25. Januar 1930 sollte das autonome Gebiet in einen Kreis (Okrug) mit gleichem Namen umgewandelt werden.[37] Es wurden jedoch stattdessen kleinere Bezirke gegrΓΌndet[38] und somit endete die Existenz des β€žRoten Kurdistansβ€œ.

Die Kurden nach der Autonomie

In den frΓΌhen 1930er-Jahren florierte das kurdische Leben und es konnte sich eine eigene Kultur entwickeln: Es wurde unter anderem vorgeschlagen, ein kurdisches Alphabet zu schaffen.[39]In den Provinzen Kurdistans wurden die kurdischen Schulen erΓΆffnet. 1931 begann dann die Produktion von LehrbΓΌchern fΓΌr Grundschulklassen in kurdischer Sprache.[40] Alle Gesetze, Dekrete und Entscheidungen wurden ΓΌbersetzt, auch in die kurdische Sprache. All diese BemΓΌhungen um den Ausbau der kurdischen Kultur hielten allerdings nicht lange an: SpΓ€ter wurden im Unterricht wieder aserbaidschanische LehrbΓΌcher eingesetzt und die pΓ€dagogisch-technische Schule nutzte nur noch die aserbaidschanische Sprache in der Lehre. Mitte des 20. Jahrhunderts ΓΌbernahm die Mehrheit der Kurden in Aserbaidschan die lokalen BrΓ€uche, die Kultur und die Sprache. DafΓΌr gab es auch einen anderen, objektiven Grund, denn Kurden und Aserbaidschaner heirateten einander und nach dem Tod von Lenin begann alsbald die Assimilationspolitik von Stalin.[41]

Es ist aus der Geschichte bekannt, dass Stalin in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts die Repressalien gegen die Inteligencija begann. Unter dieser Gruppe befand sich auch die kurdische Elite, die als Erstes von diesen Maßnahmen betroffen war. Ein großer Teil der armenischen und aserbaidschanischen Kurden wurde im Jahr 1937/38 nach Zentralasien, insbesondere nach Kasachstan, deportiert. Interessanterweise waren unter den vertriebenen Kurden auch circa 2.000 iranische Kurden, die vor Kurzem noch sowjetische PÀsse hatten.[42]

Die Gründung einer kurdischen Autonomie auf dem Gebiet des sowjetischen Aserbaidschans war durch mehrere internationale und regionale Faktoren motiviert. Die unerfahrenen Bolschewiki Ànderten oft die Verwaltungssysteme, darüber hinaus gab es auch keine Geschlossenheit unter den Kommunisten bezüglich des administrativen Verwaltungssystems, sodass die Deklaration Lenins spÀter an Bedeutung verlor und durch Stalins Ideen ersetzt wurde. Die Auflâsung der kurdischen Autonomie war gleichermaßen durch interne und externe Faktoren motiviert. ZunÀchst wollte Moskau den andauerenden territorialen Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan mithilfe der Schaffung einer Autonomie reduzieren. Armenien war selbst kein Befürworter der kurdischen Autonomie, denn auf seinem Territorium lebten neben jezidischen auch noch muslimische Kurden, die spÀter ebenfalls einen Anspruch auf die Autonomie hÀtten oder mâglicherweise sogar den Anschluss mit Kurdistan einfordern würden.

Unter den externen Faktoren kann gleichfalls der Einfluss der TΓΌrkei und des Irans erwΓ€hnt werden, wo große kurdische Minderheiten lebten, die sich ein Γ€hnliches Verwaltungsmodell wΓΌnschten. In diesem Zusammenhang wird oft die Freundschaft zwischen Stalin und AtatΓΌrk angesprochen, dank denen die Idee des Roten Kurdistans im Kaukasus abgeschafft wurde. In den 40er-Jahren des letzten Jahrhunderts wurde erneut versucht, eine kurdische EntitΓ€t zu grΓΌnden – diesmal jedoch auf dem iranischen Territorium, das sich in der sowjetischen Zone befand. Die sogenannte Republik Mahabad existierte aber nur circa ein Jahr.[43]

[1] Eine Verwaltungsform im zarischen Russland, die wΓ€hrend der Sowjetmacht durch Kreise und spΓ€ter Bezirke ersetzt wurde.

[2] Vgl. Bunijatov, Z. M.: Istorija AzerbajdΕΎana po dokumentam i publikacijam, Baku, 1990, S. 25.

[3] Vgl. Gulieva, D. P.: K istorii obrazovanija Nagorno-Karabachskoj Avtonomnoj Oblasti AzerbajdΕΎanskoj SSR 1918–1925, Dokumenty i Materialy, Baku, 1989, S. 96.

[4] Ab dem 12. MΓ€rz 1922 ist Aserbaidschan ein Teil der FΓΆderalen Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken Transkaukasiens geworden, welche spΓ€ter in die ZSFSR umgewandelt wurde und somit die eine der GrΓΌndungsrepubliken der UdSSR darstellte. Erst ab dem 5. Dezember 1936 ist die Aserbaidschanische SSR Teil der UdSSR geworden.

 

[6] Vgl. Svod statističeskich dannych o naselenii Zakavkazskogo kraja, izvlečennych iz posemejnych spiskov 1886 g. (Sammelband der statistischen Angaben über die Bevâlkerung der Transkaukasien-Region, aus den herausgezogenen Familienlisten 1886, Tiflis 1893, S. 449, Im Internet: https://viewer.rusneb.ru/ru/000199_000009_005403186?page=212&rotate=0&theme=white, letzter Zugriff am 15.04.2021.

[7] Ebd. S. 449.

[8] Yunusov, Arif: Statistika religioznoj situacii v AzerbajdΕΎane (Statistiken zur religiΓΆsen Situation in Aserbaidschan), po dannym na 1 janvarja 2019 g. S. 3, Im Internet: https://www.ipd-az.org/wp-content/uploads/2019/12/Religious-statistics-Azerbaijan-2019-ru.pdf, letzter Zugriff am 15.04.2021.

[9] Vgl. RΓΌdiger, Kipke: Das armenisch-aserbaidschanische VerhΓ€ltnis und der Konflikt um Bergkarabach, Wiebaden, 2012, S. 23-24.

[10] (Neben Armenien und Aserbaidschan begann auch eine MilitΓ€roperation zwischen Armenien und Georgien), Nationalarchiv Georgiens, f. 1878, d.1. op. 1, S. 3.

[11] Vgl. Mustafayeva, Sitara: Sovetskaja Rossija i formirovanija granic meΕΎdu gosudarstvami Kavkaza (na primere AzerbajdΕΎana i Armenii), (Sowjetrussland und die Bildung der Grenzen zwischen den Kaukasusstaaten (am Beispiel von Aserbaidschan und Armenien)), Kavkaz&Globalizacija, Tom 4, Vypusk 1–2, 2010, S. 231, Im Internet: https://cyberleninka.ru/article/n/sovetskaya-rossiya-i-formirovanie-granits-mezhdu-gosudarstvami-kavkaza-na-primere-azerbaydzhana-i-armenii/viewer, letzter Zugriff am 17.04.2021.

[12] Vgl. Bunijatov, Z. M.: Istorija, S. 155-156.

[13] In diesem Fall handelt es sich zunΓ€chst um die Nationalbewegungen im zarischen Russland. (Siehe: Kappeler, Andreas: Nationalbildung und Nationalbewegungen im RusslΓ€ndischen Reich, Archiv fΓΌr Sozialgeschichte 40, 2000, Im Internet: http://library.fes.de/jportal/servlets/MCRFileNodeServlet/jportal_derivate_00021289/afs-2000-067.pdf, letzter Zugriff am 17.04.2021.

[14] Vgl. Mammadova, Ε alala: Kurdskij vopros v politike sovetskogo gosudarstva v 1920–1930-e gg. (Die kurdische Frage in der Politik der Sowjets in den 1920er- und 1930er-Jahren), Voprosy Istorii, 2013, β„–6, S. 2. Im Internet: https://www.academia.edu/35719867/курдский_вопрос_PDF, letzter Zugriff am 17.04.2021.

[15] Niftaliyev, Ilgar: Kak AzerbajdΕΎan poterjal Zangezur (Wie Aserbaidschan SangΓ€sur verlor), Irs Nasledie, Nr. 1 (61), 2013, S. 21, Im Internet: https://www.academia.edu/40754328/Как_АзСрбайдТан_потСрял_Π—Π°Π½Π³Π΅Π·ΡƒΡ€, letzter Zugriff am 18.04.2021.

[16] Das wird besonders aus dem Protokoll der Tagung des PrΓ€sidiums des Zentralkomitees der AKP am 16. Juli 1923 deutlich, in: Gulieva, D. P.: K istorii, S. 96.

[17] Vgl. NΓ€rimanoghlu, HacΔ±: S. 199.

[18] Vgl. RGASPI, f. 2, op. 1, ed. chr. 24219.

[19] Vgl. Mamedzade, Namig: Na puti k velikoj missii, Chosrov bek Sultanov byl odnoj iz jarčajőich zvezd

na političeskom nebosklone nezavisimogo Azerbajdžana (eigene Übersetzung: Auf dem Weg zur großen Mission, Chosrov bey Sultanov war einer der hellsten Sterne am politischen Horizont des unabhÀngigen Aserbaidschans), Im Internete: http://www.elibrary.az/docs/jurnal/jrn2017_360.pdf, letzter Zugriff am 17.04.2021.

[20] Es wird spekuliert, dass der erste Premierminister der Aserbaidschanischen Volksrepublik, Fatali Chan Choyki, auch kurdischer Abstammung war, wobei sein Nachname fΓΌr seine Heimatstadt Choy im Iran steht, wo die Kurden auf engstem Raum lebten. (Siehe: Tural HΙ™mid, AzΙ™rbaycan kΓΌrdlΙ™ri (Aserbaidschanische Kurden), 12. Juni 2020, [https://azlogos.eu/azΙ™rbaycan-kurdlΙ™ri/]).

[21] Vgl. Treaty of  Peace between the British Empire and Allied Powers and Turkey, 10. August 1920, SΓ¨vres, S. 21, Im Internet: https://web.archive.org/web/20140531175547/http://treaties.fco.gov.uk/docs/pdf/1920/TS0011.pdf, letzter Zugriff am 18.04.2021.

[22] Vgl. Mammadova, Ε alala: Kurdskij vopros, S. 3.

[23] Ebd.: S. 4.

[24] Ebd.: S. 4.

[25] Vgl. Gulieva, D. P.: K istorii, S. 154.

[26] Vgl. Upravlenie delami Prezidenta AzerbajdΕΎanskoj Respubliki, Prezidentskaja biblioteka,

Armjano-AzerbajdΕΎanskij NagornoKarabachskij konflikt: S. 33, Im Internet: https://files.preslib.az/projects/azerbaijan/rus/gl7.pdf, letzter Zugriff am 18.04.2021.

[27] Vgl. SchahsevΓ€n (Γ„liyarli), Iltifat: AzΓ€rbaycan Chalg CumhuriyyΓ€tinin Dahili IschlΓ€r nazirlΓ€ri vΓ€ silachdaschlari 1918–1920 (Die Innenminister der Volksrepublik Aserbaidschan und MilitΓ€rleute 1918–1920), Baku, 2013, S. 306.

[28] Vgl. Vsesojuznaja perepis’ naselenija 1926 goda (AllunionsvollzΓ€hlung von 1926), T. ChUP. Sojuz Sovetskich Socialističeskich Respublik, Moskau, 1926 S. 8–14.

[29] Vgl. Gulieva, D. P.: K istorii, S. 116.

[30] Vgl. Mammadova, Ε alala: Kurdskij vopros, S. 5.

[31] Vgl. Gulieva, D. P.: K istorii, S. 119.

[32] Vgl. Konak, Ismet: Kurdy SSSR v 1920 – 30-ye gg.: processy adaptacii i integracii v sovetskuju sistemu (Kurden in der UdSSR in den 1920er- bis 1930er-Jahren: Prozesse der Anpassung und Integration in das sowjetische System), Moskau, 2010, S. 75–76. Im Internet: https://www.academia.edu/5897069/KΓΌrtlerin_Sovyet_Sistemine_Entegrasyonu_ve_Adaptasyonu_ΠšΡƒΡ€Π΄Ρ‹_Π‘Π‘Π‘Π _Π²_1920_30_Ρ‹Π΅_Π³Π³_процСссы_Π°Π΄Π°ΠΏΡ‚Π°Ρ†ΠΈΠΈ_ΠΈ_ΠΈΠ½Ρ‚Π΅Π³Ρ€Π°Ρ†ΠΈΠΈ_Π²_ΡΠΎΠ²Π΅Ρ‚ΡΠΊΡƒΡŽ_систСму_, letzter Zugriff am 18.04.2021.

[33] Vgl. Mammadova, Ε alala: Kurdskij vopros, S. 6.

[34] FrΓΌherer Name von SchΓ€ki.

[35] Vgl. Ebd. S. 6.

[36] Vgl. Ebd. S. 7.

[37] Vgl. Upravlenie delami: S. 4.

[38] Vgl. Konak, Ismet: Kurdy SSSR, S. 72.

[39] Vgl. Ebd. S. 64.

[40] Vgl. Yilmaz, Harun: The Rise of Red Kurdistan, 04. August 2014, S. 814-815, Im Internet: https://www.researchgate.net/publication/264562648_The_Rise_of_Red_Kurdistan (letzter Zugriff am 20.04.2021).

[41] Vgl. HΓ€mid, Tural: AzΓ€rbaycan kΓΌrdlΓ€ri, 12. Juni 2020, Im Internet: https://azlogos.eu/azΙ™rbaycan-kurdlΙ™ri, letzter Zugriff am 10.05.2021.

[42] Vgl. Konak, Ismet: Kurdy SSSR, S. 87.

[43] Vgl. Isaeva L.T.: K voprosu istorii pereselenija kurdov v Kazachstan (Zur Geschichte der kurdischen Umsiedlung in Kasachstan), In: Bajmyrzaev K.A. Kostanaj memlekettik pedagogikalyk institutynyn Ε½arΕ‘ysy, β„–3 (19), 2010, S. 91.


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F. Masimova

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